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Am 8. November hat im Hamburg die “Schankwirtschaft” geschlossen. Das ist normalerweise niemand auch nur eine Zeile in der Presse wert.
Aber wir Bierliebhaber nehmen so eine Information schon zur Kenntnis und sind in der Regel auch nicht froh darüber, zumal es sich bei der “Schankwirtschaft” um eine Kneipe mit einer ansehnlichen Auswahl von CRAFT Bieren gehandelt haben muss.
Ich las die Info auf Facebook, in einem von der “Bierguerilla” geteilten Beitrag von Esther Isaak vom “Bierland Hamburg”, einem bestsortierten Geschäft für traditionelles und CRAFT Bier.
Sie bedauert vieles rund um CRAFT Bier und fragt sich (und uns?) nach möglichen Ursachen.
Ich möchte hier ‘mal meine Gedanken dazu niederschreiben.
“… hier sieht man wieder im Distributionsbereich, dass nichts durchdacht ist, dass es nicht um eine bessere und gerechtere Welt ginge, dass dem Craftbierbrauer völlig egal ist, wo sein Bier steht …”
Was läuft hier falsch? Ich frage mich auch schon seit einiger Zeit, was die CRAFT Bier Brauer eigentlich wollen.
Gutes Bier brauen? Sicher. Tun die bei weitem meisten ja auch.
Das auch verkaufen? Das müssen sie, wenn sie weiter gutes Bier brauen und davon auch leben wollen.
An wen? Das frage ich mich manchmal ernsthaft. Wenn ich lese, dass hier in München ein neues Bier mit einer Party in einem Skateboardladen “gelauncht” werden soll, bin ich sicher nicht die Zielgruppe. Eher schon im CRAFT Bier Laden. Aber der ist eben auch in der großen Stadt und nicht bei mir auf dem Land. Bei uns im EDEKA steht eine CRAFT Bier Brauerei im Regal neben den anderen Spezialitäten und zwischen “Fernsehbieren”.
Ich sehe nicht, dass die da reißend über den Tisch gehen. Obwohl die Brauer hier in der Nachbarschaft zu Hause sind und ihre Biere zu den bekanntesten gehören und richtig gut sind.
Moment … “zu den bekanntesten …”? In der “CRAFT Bier Szene”! Und sonst?
Womit wir wieder bei Zielgruppen sind.
Als Brauer muss ich mir darüber klar werden, an wen ich verkaufen will. Will ich die Liebhaber auch traditioneller Biere “abholen” oder sie da lassen, wo sie sind und mir stattdessen exklusiv “ganz neue Kunden” erschließen? Gehe ich deshalb in den Skateboardladen?
Ich muss mir darüber klar werden, ob ich eine “treue Kundschaft” aufbauen möchte oder aber damit “leben” will, dass der Kunde, der heute mein Bier trinkt und “ganz toll” findet, weil’s eben “hip” ist, sich “von der Masse (der Traditionalisten) abzuheben”, morgen vielleicht schon wieder auf ein ganz anderes Produkt fliegt, nur weil das dann “hipper” ist. Mir fallen da “Hypes” ein wie die um Whisky und Gin, gerade beschäftigt sich die “Szene” mit Rum …
Was kommt als nächstes dran?
Ich bin sicher, dass es da irgendwo zwischendrin eine “Wahrheit” geben muss. Die Brauer sollten sich vielleicht überlegen, ob sie doch auch die “Traditionalisten” ansprechen wollen. Sie links liegen zu lassen, ist bestimmt nicht der Weg zu nachhaltigem Erfolg. Es ist dann halt eine Frage der zielgruppengerechten Ansprache …
Die Biere nur “in der Szene” anzubieten und bekannt zu machen, und dann aber zu hoffen, dass sie bei REWE oder EDEKA “zum Renner” werden, ist irgendwo wirklich nicht durchdacht und führt sicher nicht zum gewünschten Erfolg.
Und dann von kleinen, gut sortierten, aber exklusiven Händlern bis zu 10 Euro pro Kasten mehr zu verlangen als vom Großabnehmer, ist ebenfalls kontraproduktiv, wenn nicht sogar unfair.
Das verärgert und vergrault die kleinen Einzelhändler, während im Supermarkt die Flaschen im Regal verstauben, weil das “Fernsehbier” daneben für einen deutlich niedrigeren Preis zu haben ist.
Es ist ein Dilemma, aus dem die CRAFT Bier Brauer und auch die kleinen Händler herausfinden müssen. Denn auch im Bereich CRAFT Bier Einzelhandel hat sich so manches als Holzweg herausgestellt.
So wie fast wöchentlich neue Brauereien entstehen und noch auf den (fahrenden) Zug aufspringen wollen, wie auch die großen Konzerne am Geschäft teilhaben wollen, entstanden zumindest in der Anfangsphase des Hypes um CRAFT Bier in allen großen und nicht ganz so großen Städten “CRAFT Bier Shops” und “CRAFT Bier Bars” (oder wie sie sich auf Denglisch alle nannten).
Hier bereinigt sich der Markt gerade selbst. Das mag für die Läden, die aufgeben, und auch deren Kunden sehr schade sein, denn das Angebot wird wieder geringer, aber es zeigt, dass auch da ein Nachdenken über einen Weg zum nachhaltigen Erfolg notwendig ist. Nur klein und exklusiv? Das ist mit sehr sehr viel Arbeit verbunden und kann von heute auf morgen vorbei sein, wenn der Hype sich einem anderen Produkt oder Geschmack zuwendet.
Bereinigen wird sich auch die CRAFT Bier Brauereiszene. Das Geschäft wird zunehmend härter, je mehr Brauereien auf den Markt drängen. Der Markt wächst nicht in dem Maß. wie die Brauereien diesen gerne füttern wollen. Letztlich werden die überleben, die “fette” Investoren haben oder die gefragte Geschmäcker in guter Qualität bieten.
Zusammen können Brauer und Händler vielleicht einen Weg finden, wie man bei aller Originalität, auf die man solchen Wert legt, doch ein breiteres Publikum anspricht als man nun ‘mal im Skateboardladen findet …
… Nur ‘mal so in den Raum gestellt …
Nur so am Rande: Ich bin selbst auch (Haus- und Hobby-) Brauer und als solcher momentan ganz froh, mich nicht „am Markt“ behaupten zu müssen. Ich genieße meine Freiheit, mich nicht irgendwelchen Zwängen unterwerfen zu müssen. Andererseits freue ich mich natürlich, wenn meine Biere auch einem größeren Publikum als Familie oder Freundeskreis schmecken. Also denke auch ich immer wieder mal über einen kommerziellen Sud nach. Vielleicht als Gipsy-Brauer …? Auch ein Dilemma, wenn man so will …